Political Videogames against the Dictatorship of Entertainment

09/04/2006

Videospiele und Computerspiele haben trotz ihrer wachsenden Verbreitung und einer oft narrativen und komplexen Struktur keinen Einfluss auf den kulturellen Diskurs. Ähnlich wie Film und Fernsehen in ihren Anfangstagen nicht als eigenständige Gattung verstanden wurden, fristet die Wahrnehmung der politischen und kulturellen Implikationen von Videospielen, außerhalb von simpler Actio-Reactio-Theorien zur Erklärung von Gewalttaten jugendlicher Krimineller, ein einsames Dasein in Underground- und Fachzeitschriften. Das Mailänder Programmiererkollektiv Molleindustria will sich mit diesem Status Quo nicht abfinden und startete mit einigen höchst eigenwilligen Spielen eine Diskussion über Gaming Culture. Sub_Kid interviewte Paolo Pedercini von Molleindustria anlässlich des Culture Jamming Festivals in Barcelona.

Sub_Kid: Kannst du dich und deine Arbeit kurz vorstellen?

Paolo Pedercini: Ich bin ein Mitglied des Mailänder Programmiererkollektivs Molleindustria. Unser Ziel ist es, eine ernsthafte Diskussion über die politischen Implikationen von Videospielen zu starten. Wir programmieren verschiedene kleine, experimentelle Flash-Games um eine politische Botschaft zu verbreiten und Mainstream-Videospiele als kulturelle Ausdrucksform zu kritisieren.

Sub_Kid: Eure Arbeit wird oft als “gaming counterculture” bezeichnet. Was bedeutet das für dich?

Paolo Pedercini: Man kann es meinetwegen als “Gegenkultur” bezeichnen, aber ich mag es nicht, da unsere Arbeit nichts mit dem so genannten „Underground“ zu tun hat. Wir wollen Mainstream sein und gleichzeitig einen alternativen Blickwinkel vermitteln. „Die Simpsons“ zum Beispiel sind ja auch keine Gegenkultur. Auch in unseren Spielen gibt es einige Themen und Inhalte, die man als gegenkulturell bezeichen könnte, trotzdem sind sie Mainstream. Sehr gute Mainstream-Produkte!

Sub_Kid: Euer aktuellstes Werk ist das McDonalds-Videogame. Worum geht es da?

Paolo Pedercini: Das Spiel handelt nicht nur von McDonalds, sondern von der gesamten Fast-Food-Industrie. Es ist eine Simulation der versteckten Prozesse, die der Fast-Food-Industrie inhärent sind. Der Spieler muss die Firma leiten und zwischen einer Menge Möglichkeiten auswählen, um die Herstellung der McDonalds-Produkte vom Weideland bis zu ihrem Markenimage zu kontrollieren. Unser Ziel war es, die Folgen aufzuzeigen, die die industrielle Produktion von Nahrung auf Umwelt und Gesellschaft hat.

Sub_Kid: Und was geschieht in dem Spiel?

Paolo Pedercini: Das Hauptziel des Spieles ist es, das Geheimnis des perfekten Produktionsprozesses zu finden. Das Spiel ist in vier Sektionen aufgeteilt: Die erste ist die agrikulturelle Sektion, wo der Spieler die Rinder für das Fleisch heranzüchten und agressiven Sojaanbau betreiben muss: die Hauptnahrung für die Rinder.

Die zweite Sektion ist der Massentierstall, wo die Rinder mit dem Futter eingepfercht werden. Das Fast-Food-Restaurant ist die dritte Sektion. Hier werden die Mitarbeiter gemanaget, diszipliniert, bestraft oder eben gefeuert.

Die letzte Sektion ist das Hauptquartier: die Marketing-Abteilung, die PR-Abteilung und die Direktorenversammlung. Hier werden Anzeigenkampagnen entworfen und Politiker oder Ernährungswissenschaftler bestochen.

Sub_Kid: Ist es möglich, das Spiel zu spielen ohne zu schmutzigen Tricks zu greifen?

Paolo Pedercini: Nein, es ist fast unmöglich. Nur ein paar Leute schaffen es, in dem Spiel erfolgreich zu sein, und diese Leute sind gezwungen, zu schmutzigen Mitteln zu greifen. So muss man Hormone und Industrieabfälle in das Tierfutter geben und genetisch manipuliertes Soja anbauen etc.

Sub_Kid: Warum habt ihr McDonalds und nicht Burger King gewählt? McDonalds steht oft im Mittelpunkt der Kritik und Burger King nie!

Paolo Pedercini: Ich denke, die Leute sind klug genug zu erkennen, dass das Spiel keine ausschließliche Kritik an McDonalds darstellt. McDonalds ist vielmehr ein Symbol für die gesamte Fast-Food- und Fleischindustrie. Wir haben die Marke McDonalds lediglich benutzt, um zu zeigen, dass das Spiel eine Entsprechung in der realen Welt hat, sich auf reale Ereignisse in unserem Alltagsleben bezieht.

Sub_Kid: Ein anderes Spiel von Molleindustria heist Tuboflex. Worum geht es dabei?

Paolo Pedercini: Tuboflex handelt von der zunehmenden Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeit. In einer nahen Zukunft hat eine große Firma eine “staffing solution” entwickelt: Ein komplexes Röhrensystem, um Arbeitskräfte in Echtzeit zu lokalisieren und einzusetzen. Nun muss der Spieler diesen Arbeiter steuern, der ständig von den Röhren eingesaugt und wieder ausgespuckt wird.

Das Spielprinzip besteht darin, zu versuchen, den Arbeiter in dieser außer Kontrolle geratenen Arbeitswelt am Leben zu halten, was ziemlich nah an der Alltagsrealität der prekär Beschäftigten ist. Versagt der Spieler, findet sich der Arbeiter auf der schwarzen Liste wieder und kann Akkordeon auf der Straße spielen.

Sub_Kid: Was sind eure Hauptthemen, wenn ihr Spiele programmiert? Gender, Rassismus, Globalisierung, moderner Arbeitsmarkt?

Paolo Pedercini: Das hängt immer davon ab, ob wir ein gutes Thema mit einem guten gameplay verbinden können. Wir wollten z.B. immer ein Spiel über Immigration machen, haben aber noch kein sinnvolles Konzept gefunden.

Sub_Kid: Euer Logo erinnert mich an Sozialistischen Realismus oder die sowjetische Zeichenproduktion…

Paolo Pedercini: Ja, der Name Molleindustria heißt ja auch soviel wie “weiche Industrie”. Es ist eine recht simple Dekontextualisierung oder Transformierung einiger sowjetischer Einflüsse. Die Idee hinter unserem animierten Header war, eine Metapher für das zu entwickeln, was wir tun. Wir leben in der Informationsära und es gibt kaum noch Schwerindustrie in der westlichen Gesellschaft. Diese Tatsachen wollten wir in einem niedlichen Stil visualisieren.